Zeitliche und räumliche Einnischung
juveniler Lachse (Salmo salar Linnaeus, 1758)
allochthoner Herkunft in ausgewählten Habitaten
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades
der Naturwissenschaften
vorgelegt beim Fachbereich Biologie
der Johann Wolfgang Goethe - Universität
zu Frankfurt am Main
von
JÖRG SCHNEIDER
aus Frankfurt am Main
Frankfurt am Main 1998 249pp.
Zusammenfassung / Summary
Zusammenfassung
Im Rahmen der Wiedereinbürgerung des Atlantischen Lachses (Salmo salar L.) in die rheinland-
pfälzischen Gewässersysteme Sieg und Saynbach (Programm Lachs 2000) wurde erstmals für
deutsche Gewässer die räumliche und zeitliche Einnischung als Besatz eingebrachter
allochthoner Herkünfte detailliert erfaßt. Hierzu wurden 1994-97 an 7 Besatzgewässern
Elektrobefischungen, teils in Verbindung mit Habitatuntersuchungen und Markierungs-
Wiederfangexperimenten, durchgeführt. Die Datengrundlage bilden 65.798 Fänge, darunter
13.397 juvenile Lachse aus 3 Altersklassen (AK 0+ - 2+).
In einem der Forellenregion zuzuordnenden Gewässer wurde über 3 Jahre die Entwicklung
einer Bachforellenpopulation unter dem Eindruck jährlich eingesetzter Lachse untersucht.
Hierbei konnte die Möglichkeit einer räumlichen Koexistenz in einem kleinen Besatzgewässer
unter Erhöhung der carrying capacity dokumentiert werden.
Das Wachstum der besetzten Lachse war positiv abhängig von der Gewässergröße und negativ
abhängig von den Faktoren Dichte und Konkurrenzdruck durch ältere Parrs. Es erreichte im 1.
Herbst (AK 0+) GA 6,2 - 11,0 cm, im folgenden Frühjahr (AK 1+) 6,8 - 11,0 cm und nach 2
Jahren 12,1 - 18,0 cm. Die Jungfische wanderten mehrheitlich nach 1 oder 2 Jahren aus den
Besatzgewässern ab. Die Abwanderung erfolgte in der Sieg auch in den Sommermonaten, in
allen weiteren Gewässern ausschließlich im Frühjahr. Der Emigration ging im 1. Winter eine
Aufteilung in eine bimodale Längenverteilung voraus. Sie entsprach den Gruppen große
Abwanderer (Upper Modal Group) (9,5 - 11,5 cm; Sieg: bis 15,0 cm) und kleine, noch 1 Jahr im
Süßwasser zurückbleibende Lachse (Lower Modal Group) (6,6 - 7,6 cm, Sieg: 12,5 cm). Die
bimodale Verteilung war in ihren Anteilen variabel (UMG: 15 - 72%). Die UMG wanderte
mehrheitlich (90,9-100%) ohne Anzeichen einer einsetzenden Smoltifikation ab. Bei der LMG
befanden sich im Folgejahr 33,5 - 69,2% der Tiere in der Smoltifikationsphase. Weibliche
Lachse wanderten zu 2/3 im ersten Jahr ab, männliche Tiere dominierten entsprechend in der 2.
Abwanderungswelle. Bei 14,3 - 28,6% der Nachweise vor der 2. Abwanderung handelte es sich
um (teils smoltifizierte) frühreife Männchen. Zwischen 1 und 8% der Lachse beteiligten sich nicht
an der 2. Abwanderung. Unter den 29 Nachweisen der AK 2+ nach der 2. Abwanderung waren
27 frühreife Männchen und 1 weiblicher frühreifer Parr. Letzterer ist ein Erstnachweis für die
Bundesrepublik. Die AK 3+ wurden nur vereinzelt angetroffen (n= 2).
Zur Erfassung der räumlichen Einnischung im linearen Gewässerverlauf wurden
Besatzlokalitäten und daran angrenzende Strecken befischt. Die Dispersion der Brut 50 m um
den Schlupfort erfolgte zu 78,1 - 91,7% stromabwärts(*). Kolke behinderten die Aufwanderung.
Die Ausbreitung der AK 0+ im ersten Sommer erstreckte sich stromaufwärts auf mind. 1000 m in
16 Wochen und 3300 m in 5 Monaten. Stromabwärts wurden 1000 m in 20 Wochen und 1800 m
in 5 Monaten zurückgelegt. Für ein- und zweijährige Lachse wurden Entfernungen vom
Besatzort von über 3000 m belegt. Die jährlichen Muster der Ausbreitung sind, unabhängig von
Herkunft und Besatzzeitpunkt, innerhalb der Besatzstrecken nahezu übereinstimmend. Vermutet
werden daher gewässerspezifische Faktoren. In 2 von 3 Besatzgewässern wurden zur Laichzeit
Aggregationen frühreifer Männchen in den Mündungsbereichen festgestellt.
(*) Korrektur gegenüber Originaltext: stromabwärts statt stromaufwärts
Der Aspekt der Habitatwahl auf Makro- und Mikroebene wurde in der Forellen- und
Äschenregion mittels detaillierter Aufnahmen von Habitatstrukturen und Mikrohabitatpräferenzen
juveniler Lachse bearbeitet. 355 Lachse der Altersklassen 0+ und 1+ wurden mittels Point-
Abundance-Methode gefangen. Präsentiert werden: die Präferenzen für die Habitattypen Riffle-
Pool, Kolk, Gleite und Stillwasser; die Wahl unterschiedlicher Deckungsstrukturen; die
Präferenzen für Substrattypen; die Parameter Wassertiefe, Uferdistanz,
Strömungsgeschwindigkeit am Boden sowie 5 cm unter der Wasseroberfläche,
Oberflächenturbulenz (Broken Water Surface) und Beschattung. Räumliche Konkurrenz wurde
anhand der Anzahl am selben Standort festgestellter weiterer Salmoniden (Lachs und
Bachforelle) ermittelt.
Die Ergebnisse werden für die Altersgruppen 0+ (< 100 mm; n1 = 200) und 1+ (≥ 100 mm; n2 =
150) getrennt dargestellt. Es konnten signifikante größenabhängige Präferenzen bei der
Habitatwahl, Substratwahl und einigen physikalisch-hydrologischen Parametern festgestellt
werden. Für größere Lachse wurden Präferenzen für tiefere Standorte, darunter häufig Kolke,
geringere Strömungsgeschwindigkeiten und geringe Kiesanteile verzeichnet. Kleine Lachse
besiedelten flache Riffle-Pool-Strecken mit variablen Strömungsgeschwindigkeiten und mieden
Kolke. Um 75% der Parrs wurden nahe Deckungsstrukturen nachgewiesen. Unterstände im
Uferbereich wurden aufgrund der Habitatnutzung koexistierender Forellen besonders von
kleinen Parrs gemieden. Die genannten Parameter zeigten außerdem signifikante Unterschiede
bei 4 verschiedenen Wasserständen (n= 205). Bei sehr hohem Wasserstand und starker
Trübung wurden durchströmte Standorte zugunsten strömungsbe- ruhigter Bereiche, vor allem
im direkten Uferbereich, aufgegeben. Trotz erhöhter Fließgeschwindigkeiten im Gewässer
sanken am Fangort die Strömungsgeschwindigkeiten ab, die Wassertiefe verringerte sich
ebenso wie der Turbulenzgrad der Wasseroberfläche. Dieses Verhalten wird als Anpassung zur
Vermeidung hoher energetischer Kosten bei Hochwassersituationen interpretiert. Die räumliche
Konkurrenz nahm bei Niedrig- und Hochwasser gegenüber Normalwasser und erhöhtem
Wasserstand zu. Bei erhöhtem Wasserstand wurde bereits eine signifikante Verringerung der
Strömungsgeschwindigkeit am Boden festgestellt, was auf eine „noch territoriale“
Übergangsphase zwischen den beiden Wasserständen normal und hoch hinweist.
Die Ergebnisse tragen zur Erstellung eines Leitbilds zur Auswahl von Lachs-Besatzorten bei.
Die Dichte der Jungfische wurde über Markierungs-Wiederfangversuche ermittelt. Sie variierte
für die Altersklasse 0+ zwischen 0,25 und 1,50, für die AK 1+ zwischen 0,04 und 0,39 Indiv./m2.
Im Rahmen der Besatzmaßnahmen wurde erstmals die Firzlaff-Box als neuartige
Erbrütungshilfe erfolgreich im Freiland getestet. Bis zur Freßfähigkeit der Brut wurden Verluste
um 10% verzeichnet.
Summary
This study is part of the „SALMON 2000“ program intended to re-introduce Atlantic salmon
(Salmo salar L.) into the river Rhine where they were extirpated in the middle of the century. The
aim was to investigate possible influencing parameters in the re-introduction process. Examined
was the re-introduction process in time and space in seven 2nd and 3rd order streams (river-
systems Sieg and Saynbach) in the Rhineland-Palatinate state (Germany). Salmon and
coexisting fish species were caught by electro-fishing (total n= 65798; salmon age 0+ - 2+ n=
13397), partly in addition with mark-recapture experiments. To determine habitat suitability for a
successful re-introduction the habitat preferences of salmon age 0+ and 1+ at selected releasing
spots were recorded on a macro- and micro-scale. Salmon growth was positively related to
stream-size and negatively related to density and presence of elder parrs. Absolute growth (GA)
of salmon age 0+ (autumn) reached 6.2 - 11.0 cm standard length (SL). Salmon 1+ measured
6.8 - 11.0 cm, age 2+ 12.1 - 18.0 cm (both spring).
Emigration took place in two runs after one and two years in spring only, with exception of the
largest stream, river Sieg, where emigration was recorded in summer as well. Length frequency
after the first winter was bimodal. The Upper Modal Group (UMG) measured 9.5 - 11.5 cm (river
Sieg: max. 15.0 cm), the Lower Modal Group (LMG) measured 6.6 - 7.6 cm (river Sieg: 12.5
cm). The UMG incorporated between 15 - 72% of the age group, and 90.9-100% emigrated as
Parrs. After one year (age 2+) 33.5 - 69.2% of the former LMG were (pre)smolts. Two out of
three females emigrated with the 1st run (UMG), males dominated in the LMG. Between 14.3 -
28.6% of age 2+ salmon were premature males, of which several were allready smolts. After the
2nd run nearly all of the few resident parrs 2+ were males maturing in the following season.
One premature female parr was caught, being the first on record for Germany.
In a 3rd order trout stream the impact of planted salmon on a local brown trout (Salmo trutta f.
fario) population was recorded over a 3 year period. The findings suggest niche-segregation,
because both salmon and trout abundance increased at salmon releasing spots and reference
sites. The coexistence of salmon resulted in a higher carrying capacity of the stream than before
the planting.
The in-stream movement of fry planted in the eyed-egg stage was recorded 4-6 weeks after
emergence by way of fishing 50 m above and below the spot where they had hatched. More
than 90% of the fry migrated downstream. Deep pools significantly restricted upstream movement.
Parrs age 0+ moved upstream as far as 1000 m in 16 weeks and 3300 m in 5 months. Below the
releasing spots emigration reached 1000 m in 20 weeks and 1800 m in 5 months. Age 1+ and
2+ salmon distributed themselves fairly uniformly for about 3000 m above and below the
releasing spots. In winter premature males aggregated at lower reaches in two out of three
streams. Density varied between 0.25 and 1.50 Indiv./m2 for 0+ and between 0.04 and 0.39
Indiv./m2 for 1+.
The daytime habitat choice of 355 parr (0+ and 1+) was examined using the point abundance
method. The stream locations were classified as riffle-pool, deep pool, low current and standing
water habitats. Association to cover was determined by measuring different cover structures
such as submerse vegetation/roots, overhanging structures and rocks at the micro-scale of
salmon position (focal point). Furthermore, individual substrate choice was recorded. Finally,
physical factors such as water depth, water velocity, broken water surface, shade and distance
from the shore were also assessed at the focal point of salmon. Competition was studied by
recording the number of salmonids (salmon and brown trout) captured at the same location.
Results were analysed separately for (1) young-of-the-year (age 0+) < 100 mm SL (n1 = 200)
and (2) 1+ parrs (n2= 155) measuring ≥ 100 mm SL. Large salmon parrs preferred deeper
locations (e.g. deep pools), low velocities and a low percentage of gravel. Small salmon
inhabited mainly riffles with variable velocities and avoided deep pools. Overhanging cover in
association with submerse vegetation such as roots was strongly avoided by small salmon,
which is attributed to coexisting elder trout inhabiting this habitat structure. At normal and low
discharge conditions juvenile salmon were found scattered over the whole width of the stream in
depths between 10 and 30 cm. Mean water velocity at the bottom was 0.29 m/s. At moderately
increased water levels habitat selection remained unchanged but salmon seek out low water
velocity micro-niches to minimise energy expenditure. Comparable to normal water level
conditions, the fishes still occupied a wide range of distances from the shore, which suggests
site fidelity. Simultaneously surface velocity and water depth increased significantly. At high
water levels salmon and young coexisting brown trout gave up their holding stations and almost
exclusively sought shelter in shallow water near rocks and other covers normally occupied by
older brown trout only. This observation is documented by a significant reduction in mean shore
distance, water depth and surface velocity. Bottom velocity did not change, showing a continuing
preference for low velocity at the refuge site. The number of salmonids caught within 1 m2
increased from a maximum of 3 to a maximum of 8 and occurred more frequently, possibly
indicating reduced competitive behaviour at the refuge site due to reduced visual feeding and
aggression. The results of the study suggest a transition period at rising water levels, where site
fidelity is maintained but low water velocities are preferred. High water levels lead to an adaptive
change in the selection of microhabitat, which is understood to minimise energy expenditure and
injury risk.
With the Firzlaff-Box a new type of in-stream breeding-box was successfully tested in two small
and one large stream. Mortality rates until first feeding were around 10%.
The results of this study will help to determine future stocking numbers and habitat suitability
criterias and to establish new strategies for a successful re-introduction of the Atlantic salmon.
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